CDs
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NEUES
AUS
DER
M U S I K W E L T
KLASSIK
Felix Mendelssohn, Alban Berg
STREICHQUARTETT OP. 13,
LYRISCHE SUITE
Tetzlaff-Quartett
Cavi-music/HM CD______________[57]
Auf die Idee, Alban Bergs „Lyrische
Suite“ mit Mendelssohn zu kombi-
nieren, ist vor dem Tetzlaff-Quar-
tett bisher wahrscheinlich noch nie-
mand gekommen. Eine ungewöhn-
liche Begegnung - deren Sinn sich
jedoch schon nach wenigen Tak-
ten erschließt: Sobald die langsa-
me Einleitung aus Mendelssohns
op.
13
vorbei ist, scheint die Musik
förmlich zu explodieren. Als würden
sich die erregten Sechzehntelmoti-
ve in größter Erregung gegenseitig
voranhetzen. Mit diesem hitzi-
gen Zugriff, der beide Rahmensät-
ze durchzieht, entlarven Christian
Tetzlaff und seine Mitstreicher - wie
kürzlich schon die Kollegen vom
Mandelring- und vom Artemis-Quar-
tett - das Bild der vermeintlichen
Glätte Mendelssohns einmal mehr
als überholtes Klischee. Mehr noch,
sie interpretieren das romantische
Feuer seiner Musik als Vorbote je-
ner Expressivität, die Bergs „Lyri-
sche Suite“ durchglüht. Deshalb
wirkt der Übergang zwischen den
beiden Werken keineswegs wie ein
Bruch, sondern zeigt eine konse-
quente Entwicklung: Bei Berg hat
sich der Überdruck, der schon in
Mendelssohns frühem Quartett zu
spüren war, noch weiter verdichtet.
Auch hier, in dem nicht nur tech-
nisch
extrem
anspruchsvollen
Werk, vereint das Tetzlaff Quar-
tett handwerkliche Meisterschaft
mit Ausdruckskraft: Das Ensemb-
le folgt den minutiös festgelegten,
ständig wechselnden Vortragsbe-
zeichnungen des Komponisten mit
höchster Präzision - und offenbart
dadurch die emotionale Zerrissen-
heit des Werks, das von der heim-
lichen Leidenschaft des Kompo-
nisten für Franz Werfels Schwes-
ter Hanna Fuchs inspiriert ist. Die-
se brennende Dringlichkeit deuten
die Streicher als Bindeglied zwi-
schen beiden Komponisten.
Marcus Stäbler
MUSIK ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★
Antonin Dvorak,
Dmitrij Schostakowitsch
KLAVIERTRIOS
Lars Vogt, Christian Tetzlaff, Gustav R
ivinius u. a.
CAvi-music/HM CD______________(60}
Seit vielen Jahren schon pflegt man
beim renommierten Kammermu-
sikfest „Spannungen - Musik im
Kraftwerk Heimbach“ die gute Tra-
dition, Highlights des Festivals auf
Tonträger herauszubringen. Denn
nicht an vielen Orten auf der Welt
wird auf derart hohem Niveau, so
intensiv und lebendig musiziert
wie in Heimbach.
Dvoraks bekanntes Klaviertrio
op.
9 0
, das sogenannte „Dumky-
Trio“, ist das Hauptwerk der neuen
Festival-CD, die auf das Jahr
2013
zurückblickt. Die vielfach erprob-
te und bestens aufeinander ein-
gespielte Trioformation Lars Vogt,
Christian Tetzlaff und Tanja Tetzlaff
ist hier zu hören in einer klanglich
und dynamisch fein ausgearbeite-
ten Interpretation, die die oft sehr
schroffen Kontrastwirkungen zwi-
schen langsamen, elegischen und
schnellen, tänzerischen Abschnit-
ten markant herausstellt. Hier gibt
es keinen routiniert dahingespiel-
ten Takt, Spannung ist bei diesen
drei Musikern ja so gut wie immer
garantiert. Kantable Schönheit
und unmittelbar aus dem volks-
tümlichen Idiom entspringende
Emotionen prägen den Charakter
der „Zypressen“ für Streichquar-
tett, in denen Dvorak eine unerwi-
derte Liebe reflektiert. Das Quar-
tett mit Alissa Margulis, Byol Kang,
Tatjana Masurenko und Gustav Ri-
vinius erspürt diese Stimmungen
subtil.
Das Klaviertrio Nr.
1
op.
8
ist ei-
ne beeindruckende Talentprobe
des
1 8
-jährigen Schostakowitsch,
es steht am Schluss dieser fes-
selnden CD mit Kammermusik vom
Kammermusikfest „Spannungen“
2 0 13
. Aaron Pilsan, Alissa Margulis
und Marie-Elisabeth Hecker setz-
ten das nur zwölf Minuten dauern-
de Werk euphorisch um.
Norbert Hornig
MUSIK ★ ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★ ★ ____________
JosefSuk
WERKE FÜR STREICHQUARTETT U. A.
M
inguet-Quartett, Matthias K
irschnereit
CPO
/JPC
2 CDs________________ (124}
Das Schöne an Gesamtaufnah-
men ist ja, dass man meistens ei-
nen Einblick in die Entwicklung ei-
nes Komponisten bekommt. Im Fal-
le der Streicherkammermusik von
Josef Suk kann der Hörer mit der
Einspielung des Minguet-Quartetts
einen geradezu atemberaubenden
Stilwandel nachvollziehen.
Sein erstes Streichquartett op.
11
und das Klavierquintett op.
8
zei-
gen den tschechischen Komponis-
ten noch über weite Strecken als ju-
gendlichen Schwärmer: Beide Wer-
ke betören mit ihrer Fülle an melo-
dischen, nicht selten „böhmisch“
gefärbten Ideen und einem boden-
ständigen musikantischen Tempe-
rament. Vor allem in den Binnensät-
zen - wie etwa im „Tempo di Mar-
cia“ des Quartetts oder dem Scher-
zo des Klavierquintetts, das Brahms
sehr gefiel - schimmert dabei mehr
als einmal das Vorbild des verehr-
ten Schwiegervaters Dvorak durch.
Von dieser romantischen Schwel-
gerei hat sich Josef Suk allerdings
nur wenig später, zu Beginn des
20
.
Jahrhunderts, entschieden losge-
sagt. In seinem zweiten Quartett
op.
31
schlägt er einen ganz ande-
ren, von weit ausgreifenden Inter-
vallen und überraschenden Har-
moniewechseln geprägten Tonfall
an, der auch vor beißenden Disso-
nanzen nicht zurückschreckt. Was
für eine Metamorphose! Suk entwi-
ckelt den großen Spannungsbogen
des Werks aus einer ständigen Um-
formung des motivischen Materials
und verknüpft die vier Sätze durch
viele thematische Bezüge zu einem
extrem dichten Zyklus.
Das Minguet-Quartett widmet
sich Suks Musik mit einer überzeu-
genden Mischung aus Sorgfalt und
Leidenschaft, könnte jedoch den
Farbreichtum noch stärker auskos-
ten und sich bei den frühen Werken
eine Prise mehr Schmelz gönnen.
Marcus Stäbler
MUSIK ■
KLANG ★ ★ ★ ★
Das DR-Logo gibt den Dynamikumfang des Tonträgers an. Nähere Infos unter www.stereo.de
Frédéric Chopin u. a.
DIVERSE WERKE
A
lexander Krichel, Polish Chamber Philharmonic
Orchestra Sopot, Wojciech Rajski
Sony CD____________________ (78}
Für seine erste Konzertaufnahme
hat sich der junge Alexander Kri-
chel ein unalltäglich apartes Pro-
gramm zusammengestellt: Es kom-
biniert eines der frühen Wiener
Konzerte Mozarts mit der „Obe-
ron“-Fantasie seines Schülers Jo-
hann Nepomuk Hummel und zwei
jugendlichen Konzertstücken, die
der Warschauer Teenager Cho-
pin unter dem Eindruck von des-
sen Virtuosität schrieb. Das er-
gibt einen hübschen kleinen Rei-
gen charakteristischer Stationen
der musikalischen Entwicklung
zwischen Wiener Klassik und eu-
ropäischer Frühromantik - einen
Reigen allerdings, der sich beim
Abhören als nicht ganz unprob-
lematisch erweist.
Klavierspielen kann Krichel ja.
Vom ersten Einsatz in Chopins „Kra-
kowiak“ bis zum quirligen Schluss
der „Don Juan“-Variationen kann
man mehr als zufrieden sein mit sei-
nem runden Ton und der Unbeirrbar-
keit, mit der er das manchmal schier
endlose Passagenwerk in den Wer-
ken der beiden Mozart-Nachfah-
ren absolviert. Da fehlt es ihm, den
die CD optisch als eine Art Son(n)
yboy aus Hollywoods Glanztagen
verkauft, weder an Ebenmaß noch
an Präzision. Musikalisch aber stel-
len sich Fragen. Man muss gar nicht
erst Arraus großbögig strömendes
Spiel, Weissenbergs stählerne Do-
minanz oder die lässige Eleganz des
bei uns leider fast vergessenen Ab-
bey Simon zum Vergleich heranzie-
hen, um zu bemerken, dass Krichel
in Dynamik und frischem, pointie-
rendem Zugriff noch gut hätte zule-
gen können. Die begleitende Mann-
schaft Rajskis ist ihrem Solisten da
zumindest im Mozart um einige Na-
senlängen voraus.
Verstärkt wird dieser Eindruck
wohl durch einen voluminös und
weich eingefangenen Klavierklang.
Ingo Harden
MUSIK
KLANG ★ ★ ★
STEREO 2/2015 133